Fahrradklima-Test 2022: Viel Luft nach oben beim Fahrradklima in Erfurt

Im ADFC-Fahrradklima-Test 2022 haben Radfahrende das Fahrradklima in Erfurt bewertet. Sie erkennen einzelne Fortschritte an – mit einer Gesamtbilanz von 4,1 fällt die Zufriedenheit aber weiterhin deutlich unbefriedigend aus.

Macht Radfahren eher Spaß oder bedeutet es eher Stress? Sind Radwege gut befahrbar oder oft durch Hindernisse blockiert? Wie sieht es mit Fahrradabstellmöglichkeiten aus? Diese und viele weitere Fragen waren Teil des ADFC-Fahrrad-Klimatests 2022. Unter den 20 Thüringer Orten, die die für die Auswertung notwendige Teilnehmer*innenzahl erreicht haben, ist auch Erfurt. Mit einer Gesamtnote von 4,1 belegt die Stadt Rang 16 unter den 26 deutschlandweit teilnehmenden Städten der Ortsgrößenklasse 200.000-500.000 Einwohner*innen. Im Vergleich zum vorhergehenden Fahrradklima-Test 2020 (4,2 / Rang 18/26) ist immerhin eine leichte Verbesserung zu verzeichnen. 37% der Befragten erkennen an, dass in jüngster Zeit etwas für den Radverkehr getan wurde – 2020 lag dieser Wert deutlich niedriger (25%).

Hierzu Tanja Ernst-Adams, Vorsitzende des ADFC Erfurt e.V.: „Der Radentscheid, ein dem Radverkehr gegenüber aufgeschlossener Verkehrsdezernent, die Einsetzung eines Radverkehrsbeauftragten, die ADFC-Aktivitäten vor Ort und die Gründung des Beirats Radverkehr haben sicher dazu beigetragen, dass das Thema Radverkehr stärker in der Öffentlichkeit präsent ist und es in den zurückliegenden Monaten auch einige begrüßenswerte Maßnahmen gegeben hat: Die Radverkehrsführung über den Schmidtstedter Knoten ist noch nicht optimal, aber besser als zuvor, ebenso die Verkehrsführung in der Friedrich-Ebert-Straße zwischen Häßlerstraße und Richard-Wagner-Straße. Die Zahl der für den Radverkehr geöffneten Einbahnstraßen steigt, es wurden Grünpfeile für Radfahrende angebracht, es gab einige Image-Kampagnen. Das erkennen die Radfahrenden in Erfurt an. Zugleich ist aber spürbar, dass das Fahrrad hier eben noch nicht als gleichwertiges Verkehrsmittel anerkannt ist und allzu oft hintenangestellt wird, so etwa jetzt bei der Planung des Parkhauses am Löbertor, bei der Gestaltung der Übergänge am Promenadendecks oder bei der Umgestaltung des Haltestellenbereichs Gorkistraße. Von den mit dem Radentscheid beschlossenen Zielen wurden 2022 gerade einmal 20% erreicht – da klaffen Versprechen und Realität weit auseinander.“

Im Fahrradklima-Test positiv bewertet werden neben der Öffnung von Einbahnstraßen v.a. die gute Erreichbarkeit des Stadtzentrums sowie die Tatsache, dass Alt und Jung mit dem Fahrrad unterwegs sind. Kritisch gesehen werden insbesondere die mangelhafte Falschparkerkontrolle und die oft zu geringe Breite von (Rad-)Wegen. 70% der Befragten fühlen sich beim Radfahren nicht sicher – das ist alarmierend, da die objektive und subjektive Sicherheit entscheidend dafür ist, dass Menschen aufs Rad steigen. 69% empfinden, dass Radfahrende im Straßenverkehr zu wenig ernst genommen werden; 83% erleben öfter Konflikte mit Autofahrenden.

Als Maß für die Sicherheit muss sich jede Verkehrsführung für Radfahrende die Frage gefallen lassen: „Kann man hier ein zehnjähriges Kind guten Gewissens mit dem Fahrrad fahren lassen?“. Dies ist in Erfurt an unzähligen Stellen nicht der Fall. Dabei ließe sich schon mit kleineren Maßnahmen die Situation deutlich verbessern, beispielsweise durch konsequente Ahndung von Falschparkern auf Radwegen, mehr Tempo 30 oder die Einrichtung von mehr und konsequenter geführten Fahrradstraßen.

Im Vergleich zu den 27 Standardfragen zum Radfahren innerorts wurden die im Fahrradklima-Test enthaltenen fünf Sonderfragen zum „Radfahren im ländlichen Raum“, die die Wegebeziehungen zu Nachbarorten betreffen positiver bewertet, im Mittel mit 3,61.

Tanja Ernst-Adams: „Vor allem dank der touristischen Radwege wie Gera-Radweg oder Thüringer Städtekette lassen sich viele Orte im Umfeld von Erfurt relativ komfortabel und sicher mit dem Fahrrad erreichen. Das dürfte hier zu einer vergleichsweise positiven Bewertung geführt haben. Das innerörtliche Radfahren hingegen ist oft von einem Hin und Her zwischen Straßen und Radwegen geprägt; Hindernisse auf den Wegen erschweren die Weiterfahrt; die Verkehrsdichte und somit auch das Konfliktpotential v.a. mit dem Kfz-Verkehr ist viel höher.“

 

Hintergrund

Der ADFC-Fahrradklima-Test ist die weltweit größte Umfrage zur Zufriedenheit von Radfahrer*innen. Er wird alle zwei Jahre mit Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums durchgeführt. Der erste Test fand 1988 statt; weitere Tests gab es 1991, 2003, 2005, 2012, 2014, 2016, 2018 und 2020. Der aktuelle Fahrradklima-Test ist somit der zehnte seiner Art. Damit fundierte Ergebnisse erzielt werden, müssen pro Ort mindestens 50, bei größeren Städten mindestens 75 beziehungsweise 100 Abstimmungsergebnisse vorliegen.

Die Zahl der Teilnehmer*innen wie auch der in die Wertung eingegangenen Orte ist 2022 erneut gewachsen. Dies weist auf die zunehmende Relevanz von Radfahren und Fahrradfreundlichkeit hin.

Dabei bleibt die Zufriedenheit der Radfahrer*innen mit einer Bewertung von durchschnittlich 3,96 bundesweit auf niedrigem Niveau; in den meisten der 20 in die Wertung eingegangenen Thüringer Orte liegt sie deutlich darunter. Im Vergleich besonders schlecht bewertet wurden wieder Gotha und Nordhausen sowie die neu hinzugekommenen Orte Auma-Weidatal, Waltershausen, Zeulenroda-Triebes und Greußen. Positive Ausnahmen bilden wie schon beim letzten Mal Sömmerda mit einer allerdings recht uneinheitlichen Bewertung und Ilmenau sowie Arnstadt – über ein „befriedigend“ kommt aber auch von diesen Orten keiner hinaus.

Vor diesem Hintergrund appelliert der ADFC an die Kommunen, der Anerkennung des Fahrrads als vollwertiges Verkehrsmittel und der Vision Zero (Null Verkehrstote) Rechnung zu tragen, die Förderprogramme des Bundes zu nutzen, Schnellausbaumethoden einzusetzen und die Bürger*innen bei der Planung von guten Radnetzen mit an den Tisch zu holen.

Die detaillierten Ergebnisse des ADFC-Fahrradklima-Tests 2022 gibt es hier: www.fahrradklima-test.adfc.de.

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